Eines schönes Morgens im September 2013 soll also unsere Tour zur Lava in Royal Gardens starten, Yvonne stellt jedoch den Wecker eine Stunde zu spät und wir verpassen unsere Tour. Mein kleines Chaos-Weib. Sie hat ein furchtbar schlechtes Gewissen und wir buchen die Mittagstour. Den ganzen Nachmittag bei praller Sonne über die Lavafelder zu stiefeln, macht mir etwas Kopfzerbrechen. Mein Vulkan-Fanatismus kennt da allerdings kaum Grenzen. Ich bin bereit, so gut wie jede Anstrengung in Kauf zu nehmen. Dass Yvonne da mitzieht, ist großartig. Und so finden wir uns mittags um 1 am Cafe ein, um noch Proviant für die Tour einzukaufen. Neben Müsliriegeln versorgen wir uns mit insgesamt über 5 Litern Wasser. Mir erscheint das reichlich, will man doch auch nicht zu schwer tragen. Ich habe schließlich noch meine ganze Kamera-Ausrüstung mit dabei. Gespannt und etwas mulmig zumute warten wir auf unsere Guides und ihre Instruktionen. Prince´ erster Satz „Begin stretching“ lässt unsere Aufregung noch steigen. Das scheint ein anstrengendes Unterfangen zu werden. Neben uns sitzt eine Schweizerin im recht fortgeschrittenen Alter seelenruhig am Tisch und nippt an ihrer Wasserflasche. Sie ist die einzige, die keine Dehnübungen macht. Ob sie wirklich weiß, worauf sie sich einlässt? Wie sich später herausstellt, sind wir mit unseren Gedanken nicht allein. „This hike is much more different than all other hikes“ erzählt Prince weiter und erklärt, dass uns 2,5 Stunden Aufstieg über die Lavafelder bevorsteht. Dabei werden wir etwa 500 Höhenmeter überwinden und dabei die Royal Gardens Subdivision durchqueren. Ein ursprüngliches Regenwald-Gebiet, dass aber in den letzten Jahren immer wieder der Lava zum Opfer gefallen ist. Mehr als ein paar grüne Stellen sind dort nicht mehr zu sehen. Zu unserer Gruppe gehört zudem Selma, eine studierte Biologin, die nach ihrer Arbeit als Ranger im Nationalpark nun bei Kalapana Cultural Tours eingestiegen ist. Ursprünglich wollte sie nur 6 Monate nach Hawaii, inzwischen sind es 6 Jahre. Faszinierende Berufslaufbahn.

Royal Gardens Subdivision
Bevor wir mit GPS-Systemen starten, erklärt uns Prince, wie wir auf den Lavafeldern zu laufen haben. Gibt es doch immer wieder brüchige Stellen oder kleine Spalten, in denen man umknicken könnte. Die insgesamt 8 Meilen sind an sich keine allzu lange Strecke, allerdings nennen die Bewohner diese Meilen nicht zu Unrecht Lavameilen. Konzentriertes Gehen ist hier unabdingbar und so werden 8 Meilen recht mühsam, wenn man jeden seiner Schritte verfolgen muss. Fallen will man hier nicht, ist die alte Lava doch an vielen Stellen scharfkantig wie Glas. Die Schweizerin steht teilnahmslos dabei. Wie sich herausstellt, spricht sie kein Wort Englisch. Verstehen tut sie´s auch nicht. Jetzt wird mir so einiges klar. Unverständnis macht sich breit. Yvonne nimmt sich ihrer an und übersetzt das Wesentliche. Bereits nach einer halben Stunde in der Mittagshitze haben wir ein Fünftel unseres Wasserbestands aufgebraucht und ich versuche, nur noch sehr wenig zu trinken, schließlich haben wir den größten Teil unserer Tour noch vor uns. Schnell machen sich Ermüdungserscheinungen und Kopfweh breit. Die Guides bekommen das mit und beruhigen mich. Ich solle so viel trinken, wie ich brauche, sie hätten genug Wasser dabei, um hier mehrere Tage zu überleben. Ich bekomme große Augen. Das beruhigt uns ungemein und ich lasse Massen von Wasser meine Kehle hinunterlaufen. Neue Energie stellt sich sofort ein und so wandern wir gutgelaunt Richtung Royal Gardens. Endlich befinde ich mich im unzugänglichen Gebiet, dass ich bisher nur von meinen täglichen Besuchen auf der Blog-Website der Guides kannte. Unser Ziel, eine Rauchsäule der unterirdischen Lavaröhre, lässt sich am Horizont erkennen. Eigentlich sieht es gar nicht mehr so weit aus. Aber die Lavameilen… Aus 2,5 Stunden sind inzwischen 3 geworden, wir nähern uns langsam aber sicher dem aktiven Gebiet. Von einem weiteren Guide, der mit einer anderen Gruppe schon länger unterwegs ist, erfahren wir per Walkie-Talkie, dass wir einen Umweg laufen müssen, da es zu gefährlich ist, die Lavatube zu überqueren.

So steigen wir weiter und weiter den Berg hinauf, bis wir endlich nach 3,5 anstrengenden Stunden unser Ziel erreicht haben. Man fühlt sich wie auf einem anderen Planeten, ein paar wenige von der Lava verschonte Bäume stehen in der sonst völlig zerstörten ehemaligen Wohngegend. Vor einem 1 Jahr ist hier das letzte Haus den Lavaströmen zum Opfer gefallen. Jack Thompson, ein etwa 60-jähriger Hippie, lebte hier. Keine Straßen führten zu seinem Haus. So machte er aus dieser Not eine Tugend. Er baute sein Haus zum Bed & Breakfast um und bezahlte mit dem verdienten Geld seiner Übernachtungsgäste die Hubschrauber, die ihm die zum Leben notwendigen Dinge brachten. Warum habe ich das nur früher nie mitbekommen? Der Hippi sitzt mit seinen Touristen in seiner grünen Oase mitten im Nirgendwo und schaut sich über Monate und Jahre die Lavaströme an. Eine wahnsinnige Geschichte, die darin gipfelt, als 2012 die Lavaströme direkt auf sein Haus zusteuern. Pahoehoe-Lava fliest sehr langsam und so ist genug Zeit, alles wichtige zu retten. Die Hubschrauber fliegen einige Male, um Thompson und sein Hab und Gut zu retten. Doch er will nicht. Er wehrt sich mit Händen und Füßen. Der Hubschrauber-Besatzung bleibt nichts anderes übrig, als den Hippie zu fesseln und ihn gewaltsam in den Heli zu verfrachten, um ihn in der Hauptstadt Hilo abzusetzen. Von Hilo aus trampt Thompson direkt zurück nach Kalapana und läuft alleine bei Nacht 3 Stunden übers Lavafeld zu seinem Haus zurück. Er musste und wollte dabei sein, wie Pele sein Haus verschlingt. Das scheint ein besonders spirituelles Erlebnis gewesen zu sein.

Paoheohe und Aa-Lava zu unseren Füßen
In dieser unglaublich schönen und romantischen Schneise der Verwüstung stehen wir jetzt also im Dämmerlicht der Abendsonne und sind etwas enttäuscht, als wir nur minimale Lavaausbrüche sehen. Doch nach und nach bricht die Lava immer mehr aus der Erdoberfläche aus und ergießt ihr Magma langsam und knisternd über alte erkaltete Ströme. Als hätte Pele auf uns gewartet. Die Gruppe ist begeistert. Es ist wahnsinnig heiß und durchaus eine Herausforderung, hier in Ruhe zu fotografieren. Trotzdem gelingen mir ein paar tolle Nahaufnahmen. Ans Zurücklaufen denkt hier jetzt noch niemand. Wir können uns von diesen fantastischen Anblicken gar nicht lösen.
